Der Beitrag erschien am 3. April 2023 auf Seite 9 im Weser-Kurier (Bremer Tageszeitungen AG).

 

Nachhaltige Mobilität

App soll eigenes Auto ersetzen

Wie geht Mobilität ohne, dass jeder ein eigenes Auto braucht? Dazu hat ein Strategiebüro aus Osterholz Ideen entwickelt. Der Schlüssel sei ein zweckmäßiges Nahverkehrsnetz.

Von Lisa Duncan

 

Foto der Gründer des Strategiebüro Nord

Heiko Stutzke und Wiebke Brüssel vom Strategiebüro Nord haben ein Konzept entwickelt, das bestehende Mobilitätsangebote miteinander verknüpft. Dadurch ließe sich der Autoverkehr insgesamt reduzieren. Foto: Frank Thomas Koch.

Die Diskussion um das aufgesetzte Parken in Findorff und im Viertel zeigt: Parkraum ist knapp, doch viele wollen trotzdem nicht auf das eigene Auto verzichten. Aber Autofahrer mit Parkverboten zu drangsalieren, sei der falsche Weg, finden Wiebke Brüssel und Heiko Stutzke, geschäftsführende Gesellschafter beim Strategiebüro Nord in Bremen-Osterholz. Sie schlagen vor, bereits bestehende Mobilitätsangebote, wie etwa Carsharing, mittels einer App zu bündeln, zu einem flächendeckenden System auszubauen und so die Menge der Fahrzeuge auf den Straßen insgesamt zu reduzieren. "Wir gehen nicht über Verbote vor, sondern über Attraktivität", sagt Stutzke. Damit wollen sie auch der Politik einen Denkanstoß liefern.

 

"Klar, das aufgesetzte Parken ist ein Problem", so Stutzke. "Aber ich muss ja mein Auto irgendwo lassen." Die Situation habe sich über einen langen Zeitraum entwickelt - etwa durch den Trend zum geräumigen Geländewagen oder zu Haushalten mit Zweitwagen. Zugleich gebe es kaum Quartiersgaragen, in denen sich die Fahrzeuge wohnortnah abstellen ließen.

 

Grob gesagt, könne aber nicht jeder aufs Lastenfahrrad umsteigen - die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer seien unterschiedlich. Wer einen eigenen Pkw benötigt, weil er keine langen Fußwege vom Fahrzeug zur Wohnungstür auf sich nehmen kann, soll sich nicht umstellen müssen. Stutzke nennt beispielhaft Leute mit Behinderungen und Berufstätige, die spontan mobil sein müssen.

 

Einen Irrweg sehen Brüssel und Stutzke auch in einem generellen Umstieg von Verbrennern auf Elektromobilität. Denn in der Regel seien zu wenige Lademöglichkeiten vorhanden, das Netz an Stromtankstellen und die Technik für das Aufladen mit Haushaltsstrom völlig unzureichend. Zudem würden auch E-Autos Ressourcen verschlingen.

 

Neben ökologischen Gründen führen die beiden auch ökonomische ins Feld: Zu den hohen laufenden Kosten stünden die tatsächlichen Fahrten in keinem Verhältnis, das Fahrzeug werde zum "Stehzeug". In erster Linie müsse daher das Ziel sein, "die schiere Masse der Fahrzeuge zu reduzieren". "Wie machen wir Mobilität verfügbar, ohne dass jeder sein eigenes Auto braucht?", bringt Brüssel die Kernfrage auf den Punkt. 

 

Zentraler Ansatzpunkt für das neue Mobilitätssystem wäre eine App, mit der Nutzer alle für die gewählte Fahrt verfügbaren Verkehrsmittel, flexibel oder streckengebunden, ansteuern könnten. Die App würde den besten Weg für die Bedürfnisse ausrechnen. "Unser Traum ist, dass sich diese Verkehrsmittel intelligent vernetzen und man dann die Wahl hat innerhalb einer gut gemachten Verbindungskette", so Brüssel. Einbinden ließen sich hier laut Stutzke und Brüssel etwa das in Bremen etablierte Cambio Carsharing oder der bereits in Hannover und Hamburg aktive Ride-Sharing-Anbieter MOIA. Nach dem Prinzip einer Fahrgemeinschaft lassen sich damit entlang einer Route Fahrten in Kleinbussen buchen. Ihre Utopie: In Stadtteilen wie Findorff und dem Viertel könnten Anwohner so schrittweise auf einen Anteil von etwa 80 Prozent an Leihfahrzeugen kommen. "Die Anzahl der Autos insgesamt würde merklich schrumpfen", so Heiko Stutzke.

 

Mit ihrem Strategiebüro Nord gehen Brüssel und Stutzke seit rund zehn Jahren ihre Beratungen stets ergebnisoffen an. Ihre Klientel reicht vom Existenzgründer bis zum mittelständischen Unternehmen. "Wir bilden ein Team mit Menschen, die etwas zu dem jeweiligen Problem sagen können", erläutert Brüssel. Um die Problematik mit dem aufgesetzten Parken anzugehen, rät sie, zunächst, die Anwohner in Findorff anonym zu befragen. "Ein erster Schritt wäre, den Bedarf zu ermitteln: Wer braucht von wann bis wann was?"

 

Mit seinem Vorschlag erhebt das Strategiebüro Nord keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ein noch offenes Problem ist laut Stutzke etwa, wie ein Fahrzeug so übergeben werden kann, dass es bei der nächsten Fahrt voll einsatzfähig ist. Was passiert, wenn beim Losfahren der Tank leer oder der Akku entladen ist? Außerdem weise das Thema klar über Bremen hinaus, daher müsse die neue Mobilitätslösung über Ländergrenzen hinweg vernetzt sein.

© Strategiebüro Nord