Der Beitrag erschien am 5. Juli 2018 als Gastkommentar auf Seite 2 im Weser Kurier Tageszeitungen AG).

 

Eine Strategie, bitte!

Heiko Stutzke über das Gesundheitssystem

Ärztemangel, Praxisschließungen, überlastete Notaufnahmen. Die aktuelle Diskussion um die Patientenversorgung außerhalb der regulären Praxiszeiten zeigt sehr deutlich, wo das eigentliche Problem in unserem Gesundheitssystemliegt: Weil ein wirklich strategischer Ansatz für die Weiterentwicklung fehlt, suchen die Verantwortlichen Lösungen in den vorhandenen Strukturen. Das ist dann zum Beispiel der Versuch, Patienten aus Notaufnahmen und Medizinischem Notdienst fernzuhalten, die sich nicht in einer echten Notfallsituation befinden - möglicherweise bald sogar über eine Zusatzgebühr.

 

Dabei wird nicht berücksichtigt, dass unsere Gesellschaft einen Kulturwandelerlebt, durch den sich unsere Ansprüche drastisch verändern: Alle denkbaren Informationen, Entertainment und viele Güter und Dienstleistungen sind heute praktisch sofort verfügbar. Daran haben wir uns im digitalen Zeitalter nicht nur gewöhnt – wir sehen es zunehmend als selbstverständlich an. Zudem wird von uns als Arbeitnehmererwartet, flexibel zu sein. Klassische Sprechstunden passen immer weniger in unseren Tagesablauf Hinzu kommt, dass der demografische Wandel in den nächsten Jahrzehnten zu einem wachsenden Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung führen wird, die naturgemäß einen größeren Bedarf an medizinischer Betreuung haben.

 

Aus diesem Blickwinkel wird klarer, welches wichtige Auslöser der gegenwärtigen Situation sind. Tragfähige Lösungen für die Gesundheitsversorgung müssen sich an gesellschaftlichen Trends orientieren und bei Bedarf neue Modelle anbieten. Wenn die Bevölkerung eine ärztliche Betreuung außerhalb der traditionellen Sprechzeitenfordert, sollten die Strukturen verändert und Kapazitäten angepasst werden.

 

Dabei ist strategisches Vorgehen von zentraler Bedeutung. Es gilt, von der Anzahl neuer Ärzte über gesetzliche Regelungen bis zum Leistungsangebot die Herausforderungen umfassend anzugehen und sinnvolle Vorgehensweisen zu entwickeln. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Ausbau der Versorgung per "E-Health", die viele Fälle per Videoschaltung erledigen könnte? Oder mit Hausarztgemeinschaften, in denen drei, vier oder fünf Ärzte erweiterte Sprechzeitenanbieten und sich die Verwaltung teilen? Gern auch mit Shuttle-Service für Ältere, die nicht mehr so mobil sind.

 

Natürlich kostet das Geld und kann auch nicht von heute auf morgen realisiert werden. Verantwortliche aus Politik, Bildung und Gesundheitswesen können viel bewirken, wenn sie die Herausforderungen gemeinsam, ganzheitlich und strategisch anpacken.

 

Unser Gastautor

ist Geschäftsführender Gesellschafter des Strategiebüro Bremen und befasst sich branchenunabhängig mit Zukunftsplanung, Strategischer Moderation und Digitalisierung.

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