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7-2022 - Fair übers Meer

Wiebke Brüssel

Juli 2022

Stellen Sie sich Folgendes vor: Es ist Feierabend, aber Sie können nicht nach Hause. Ihr Chef hat beschlossen, dass es zu unsicher ist, das Gelände zu verlassen; gibt es doch eine Pandemie. In einem mehr oder weniger sauberen Gemeinschaftsraum bekommen Sie etwas zu essen, danach können Sie in einem kleinen Raum schlafen. Diesen Raum haben Sie für sich, vielleicht teilen Sie ihn sich aber auch. Nach sechs Stunden (inklusive Essenspause) müssen Sie ausgeschlafen sein und wieder an die Arbeit. Kontakt zu Ihrer Familie? Heute nicht, denn es gibt kein WLAN. Nach ca. 11 Monaten dürfen Sie einen Urlaub zu Hause antreten. Der wird aber nicht lang, denn Ihre Familie braucht Geld. So müssen Sie schon nach wenigen Wochen wieder zu den oben genannten Arbeitsbedingungen zurückkehren. Beklagen tun Sie sich nicht. Viel zu groß ist die Angst, dann auf einer „Blacklist“ zu landen und nie wieder Arbeit zu finden. Hätten Sie einen deutschen Pass, wären Ihre Arbeitsbedingungen besser - doch wir gehen in unserem Gedankenspiel davon aus, dass Sie in Indonesien, auf den Philippinen oder auf Kiribati geboren wurden.

 

Piktogramm eines großen Containerschiffes mit dem Namen "M.S. FAIR"

 

Würden wir das auch nur einen einzigen Tag mitmachen?

 

Tausende von Seeleuten müssen das monatelang durchhalten. Wenn man sie fragt, warum Sie das tun, sagen Sie, dass sie sich für ihre Familien opfern. Denn solche Arbeitsbedingungen fordern ihren Tribut: Depressionen, Selbstmordgedanken und andere Erkrankungen sind nicht selten. Während der Pandemie gab es in vielen Fällen nicht einmal ärztliche Unterstützung, denn die Seeleute durften das Schiff nicht verlassen.

 

Während einer Konferenz Ende Juni mit dem Titel „Fair übers Meer“ bekam ich einen erschütternden Einblick in die Arbeitsbedingungen auf Schiffen. Die Menschen, die dafür sorgen, dass Lieferketten funktionieren, haben es schwer. Wir alle, die wir von ihrer Arbeit täglich profitieren, merken davon nichts. Ich hatte zwar eine Vorstellung von schlecht bezahlten Arbeitsplätzen; doch wie prekär die Arbeit in den meisten Fällen tatsächlich ist, wusste ich nicht. Erfahrungsberichte von einem Seemannspfarrer, einem Mitarbeiter der Seemannsmission, einem Gewerkschaftsvertreter und einem Experten für Sicherheit an Bord änderten das.

 

„Seeblind“ nennen das die Fachleute. Während wir bei Lieferketten an Arbeitsbedingungen in der Rohstofferzeugung und der Produktion denken - wie in den Nähereien in Asien -, haben wir die Arbeitsbedingungen beim Transport nicht auf dem Schirm. Selbst im Lieferkettengesetz wird dieser Teil kaum berücksichtigt.

 

Doch es gibt auch Hoffnung.

 

Erste Unternehmen aus Fair-Trade-Branchen erklären sich bereit, auch an diesem Teil der Lieferkette zu arbeiten.

 

Den größten Hebel für Verbesserungen haben Unternehmen, die sich ganz direkt um den Transport ihrer Waren kümmern. Sie können sich bei den Reedereien über die Arbeitsbedingungen an Bord informieren oder sich über die Internationale Transportarbeiter Föderation, kurz ITF, Informationen besorgen. Wer den Schiffsnamen kennt, kann auf der Seite https://www.itfseafarers.org/en/look-up prüfen, ob an Bord Tarifverträge gelten und danach gearbeitet wird. Auch Ansprechpartner der ITF in den jeweiligen Ländern sind hier aufgelistet. Die Seite wird in den gängigen Sprachen der Seeleute angeboten. Leider gibt es nicht auf Deutsch, aber eine englische Version. Auch angehende Kreuzfahrttouristen können damit „ihre“ Schiffe checken: Leider gibt es auch Passagierschiffe, auf denen unfaire Arbeitsbedingungen herrschen.

 

Alle anderen von uns, die zwar importierte Produkte kaufen, aber keinen Zugriff auf die Transportkette haben, können auch etwas tun. Mein Tipp: Spenden Sie an die Bremer Seemannsmission oder, je nach Stand- und Wohnort, die Seemannsmission Bremerhaven. Diese Organisationen kümmern sich vorbildlich um Seeleute in den Häfen. Auch und gerade in Notsituationen sind sie für sie da und haben während des Corona-Lockdowns den festsitzenden Seeleuten durch die schwere Zeit geholfen und mit Notwendigem wie Masken versorgt.

 

Wie bei eigentlich allen Nachhaltigkeitsthemen kann so jede(r) von uns auf die eine oder andere Art zu einer Verbesserung beitragen. Beginnen wir damit, die Menschen nicht mehr „Seeleute“, sondern „Supply Chain Workers“ zu nennen. Das beschreibt ihre systemrelevante Arbeit wesentlich besser.

 

Wenn wir alle weniger seeblind sind, ist schon viel erreicht. Wer die Möglichkeit hat, kann aktiv werden und dazu beitragen, dass es auch auf dem Meer in Zukunft fair zugeht.

 

Redaktionelle Hinweise

 

Über die Autorin

 

Wiebke Brüssel ist Geschäftsführende Gesellschafterin des Strategiebüro Nord.

 

Das Strategiebüro Nord arbeitet für Unternehmen und Organisationen im privaten, sozialen und öffentlichen Bereich, für Gründer und für Firmen am Anfang ihrer Entwicklung.

 

Dabei geht es um individuelle Fragestellungen, die sich oft aus den Trends unserer Zeit ergeben. Hierfür entwickeln wir lösungsoffen und teamorientiert strategische Konzepte, die langfristig den Erfolg sichern.

 

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