4-2024 - Aktuelle Forschungen und Entwicklungen für ganz neue Energiequellen und Antriebe
Dr. Heiko H. Stutzke
April 2024 - Update Juli 2024
Die Energiewende kommt voran: Jedes Jahr erreicht Deutschland neue Rekorde beim Anteil „grüner“ Energie am gesamten Energiemix. Auch in vielen anderen Ländern werden die Erneuerbaren stark ausgebaut, allen voran China. Die entsprechenden Technologien sind inzwischen fest etabliert, entwickeln sich aber immer weiter - seien es leistungsfähigere Solarzellen oder innovative Ideen für Windkraftanlagen.
Aber das ist offenbar noch nicht das Ende der Fahnenstange. Zuerst durch Zufall und dann durch gezielte Suche bin ich auf einige spannende Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten gestoßen, mit denen ganz neue Möglichkeiten zur Energiegewinnung bzw. wirklich neuartige Antriebe geschaffen werden sollen.
Einige dieser Projekte fordern meine als Ökonom eher rudimentären Kenntnisse in Physik ziemlich heraus. Ich fand es aber höchst spannend und wichtig, dass wir uns nicht mit den bisherigen Alternativen zufriedengeben wollen, sondern vielleicht in Zukunft andere, noch bessere Energiequellen und Antriebsformen erschließen. Deswegen habe ich diesen Strategie-Impuls zusammengestellt, um einen Überblick über einige laufende Vorhaben zu geben. Wenn sie - vielleicht - irgendwann marktreif werden, müssen wir uns möglicherweise daran gewöhnen, dass die meisten von uns nicht mehr wirklich verstehen, wie diese Technologien funktionieren. Die Hauptsache ist, dass sie es tun.
Die gefundenen Ansätze habe ich aufsteigend sortiert - von „bekannte Technologie mal anders“ bis hin zu „absolut abgefahren und nur für Physiker zu verstehen“.
Immerhin: Einige der Technologien haben das Potenzial, unsere Welt zu verändern - wenn sie tatsächlich funktionieren und aus dem Labor zum industriellen Maßstab weiterentwickelt („skaliert“) werden können.
1 Windenergie mit horizontalen Elementen
Entwickler: Airloom, Wyoming (USA)
Kategorie: Energiegewinnung
Stand: April 2024
Für die Erzeugung von Windenergie scheinen bisher möglichst große und hohe Windräder das Maß der Dinge zu sein: bis zu mehrere hundert Meter hohe Türme, auf denen oben jeweils ein voluminöser Generator montiert ist, den drei riesige Windmühlenflügel aus Glasfaserverbundmaterial antreiben. Das Ganze wird mit einem Gegengewicht aus viel Beton im Boden verankert.
Aber es geht auch anders: Das Unternehmen „Airloom“ [1] aus Laramie im US-Bundesstaat Wyoming baut Windkraftanlagen nicht mehr vertikal, sondern horizontal. Dabei werden in regelmäßigen Abständen 25 Meter hohe Masten errichtet und mit einer waagerechten Schiene zu einem Kreis, einem Oval oder (in einer weiteren Entwicklungsstufe) einer unregelmäßigen, geschlossenen Form verbunden. Diese kann individuell an den Verlauf der Landschaft angepasst werden. An der Schiene werden senkrechte, ca. 30 Meter lange Flügel befestigt, die durch den Wind angetrieben werden und sich so an der Schiene entlang bewegen. Aus dieser Bewegung wird durch Generatoren an den Masten Strom gewonnen.
Das untere Ende der Flügel liegt etwa 10 Meter über dem Erdboden und damit hoch genug, um auf der genutzten Fläche zum Beispiel Landwirtschaft betreiben zu können oder zusätzlich Solarkollektoren aufzustellen.
Airloom sagt, dass die Entwicklung gleich mehrere Vorteile miteinander vereint:
Einfache Konstruktion,
wenig erforderliches Material und leicht transportierbar,
keine riesigen Betonverankerungen im Boden,
gut anpassbar an Landschaftsverläufe; keine optische Beeinträchtigung durch vergleichsweise geringe Bauhöhe,
deutlich kleinere Generatoren.
Laut Airloom liegt die Energieausbeute auf demselben Niveau wie bei den herkömmlichen Anlagen, aber zu einem Bruchteil der Kosten.
Zurzeit gibt es eine Pilotanlage in Pine Bluffs, Wyoming [2]. Wir dürfen gespannt sein, wann wir die ersten kommerziellen Anlagen sehen und wie diese sich im Vergleich mit den „herkömmlichen“ Rotoren bewähren.
2 Laser statt Schiffschraube
Entwickler: Harbin Engineering University, Heilongjiang (China)
Kategorie: Antriebe
Stand: 2024
Wissenschaftler der Harbin Engineering University in China haben über ein neuartiges Antriebssystem für U-Boote berichtet [3], das mit einem Lasersystem arbeitet und in der Lage ist, U-Boote theoretisch auf eine Geschwindigkeit oberhalb der Schallgrenze zu bringen. Gleichzeitig sollen Unterwasserfahrzeuge dabei extrem leise unterwegs sein.
Das Prinzip ist sehr ungewöhnlich: Durch Laserkraft sollen die bei Schiffsantrieben unvermeidlichen „Kavitationen“ nicht - wie bisher - völlig ungerichtet implodieren, sondern ihre Energie soll in Vortrieb umgewandelt werden.
Kavitationen sind Dampfblasen, die in schnell bewegten Flüssigkeiten entstehen: Schiffschrauben verwirbeln das umgebende Wasser und lenken es in eine Richtung. Durch die schnelle Bewegung des Wassers nimmt der statische Druck in einigen Bereichen so weit ab, dass das Wasser verdampft und Blasen bildet - die Kavitationen. Diese werden vom umgebenden Wasser mitgerissen und gelangen so in Bereiche mit höherem statischen Druck. Hierdurch kollabieren sie und verursachen lokal eng begrenzt enorm hohe Drücke sowie sehr hohe Temperaturen. An Schiffschrauben kann dies im Laufe der Zeit zu kraterförmigen Schäden oder herausgebrochenen Metallteilen führen, die aufwändig repariert werden müssen.
Soweit in Erfahrung zu bringen war, wird das U-Boot außen mit einem System haarfeiner Glasfasern versehen. An ihrem Ende werden rund um das U-Boot mit Laserlicht winzige Kavitationen (hier: Plasmablasen) erzeugt, deren Energie dann den Vortrieb erzeugt. Das U-Boot ist also praktisch mit einer Hülle aus Dampfblasen umschlossen, was die Reibung enorm verringert. Hierdurch werden weit höhere Geschwindigkeiten möglich als bisher - theoretisch kann die Schallgeschwindigkeit (in Luft) erreicht oder sogar überschritten werden (ca. 1235 km/h).
Das Ganze hat aber auch einen Preis: Um das System anzutreiben, werden zwei Megawatt [MW] Laserleistung benötigt. Dadurch kann eine Kraft von 70.000 Newton [N] erzeugt werden; das entspricht der Leistung eines modernen Düsentriebwerks.
Ein auf diese Weise angetriebenes U-Boot würde keine beweglichen Teile benötigen - also keine Schiffschraube sowie die weiteren, für ihren Betrieb nötigen Teile. Die Fortbewegung kann dadurch sehr leise erfolgen.
Es scheint, als ob sich diese Entwicklung in einem fortgeschrittenen Stadium befindet und im Rahmen militärischer Einsatzmöglichkeiten vorangetrieben wird. Es soll aber noch einige größere technologische Anforderungen geben, bevor ein solches System tatsächlich einsatzbereit ist.
Wenn es sich als funktionsfähig und energieeffizient erweist, kann es vielleicht auch als Antrieb für (zivile) Schiffe verwendet werden. Das hätte nicht nur den Vorteil eines deutlich schnelleren Transports auf den Weltmeeren, sondern auch eine Reduzierung des Lärms, dem die Lebewesen im Meer heute ausgesetzt sind. Zudem wäre die Verletzungsgefahr durch Schiffschrauben gebannt.
3 Nanoporen - Strom aus feuchter Luft
Entwickler: University of Massachusetts Amherst (UMass, USA) und Cascata Chuva (Portugal)
Kategorie: Energiegewinnung
Stand: Februar 2020 (UMass) und April 2024 (Cascata Chuva)
Manchmal ist es schlicht ein Versehen, das zu einer Entdeckung führt. Auch in diesem Fall soll es so gewesen sein: Eine Ingenieursgruppe der University of Massachusetts Amherst (UMass) hatte einen neuartigen, auf biologischen Materialien basierenden Sensor entwickelt und testete ihn für die Messung der Luftfeuchtigkeit. Einer der Studenten vergaß, den Sensor mit dem Stromanschluss zu verbinden, und merkte, dass das Material unter dem Einfluss von Luftfeuchtigkeit selbst Strom erzeugte.
Die Analysen zeigten, dass das verwendete Proteinmaterial nicht nur die gewollten „Nanodrähte“ gebildet hatte, sondern auch sogenannte „Nanoporen“ - winzige Hohlräume mit Durchmessern von weniger als 100 Nanometer innerhalb der Proteinstrukturen. Es stellte sich heraus, dass einzelne Wassermoleküle in diese Nanoporen eindrangen und auf diese Weise ein Feuchtigkeitsunterschied („Gradient“) zwischen Porenöffnung und Poreninnerem entstand. Das Spannende dabei war, dass zwischen den Bereichen hoher Feuchte und denen mit geringer Feuchte ein permanenter elektrischer Stromfluss entstand. An einer Proteinschicht von 7 Mikrometer Dicke wurde eine Spannung von 0,5 Volt und ein Strom von 17 Mikroampere pro Quadratzentimeter gemessen [4]. Dieser Strom blieb über einen langen Zeitraum konstant; es fand also keine „Ermüdung“ oder ein Aufbrauchen der Ressourcen statt. Daraus ergeben sich vielversprechende neue Möglichkeiten zur Produktion sauberer Energie.
Detailergebnisse wurden im Fachmagazin „Advanced Materials“ veröffentlicht [5].
Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt auch das Unternehmen „Cascata Chuva" [6] in Portugal. Hier gehen die Forschenden bereits davon aus, dass sie die entwickelten Module stapeln können, um auf diese Weise große Mengen Energie zu gewinnen, bis hin zum Vergleich mit heutigen Kraftwerken. Hierfür ist aber noch eine Menge Detailarbeit erforderlich.
Die benötigte Luftfeuchtigkeit kommt übrigens in ausreichender Menge überall auf der Welt vor - sogar in der Atmosphäre über Wüsten.
4 Elektrischer Strom aus der Photosynthese von Algen
Entwickler: Concordia University (Montreal, Kanada)
Kategorie: Energiegewinnung
Stand: Juni 2024
Die Idee, Energie aus der Photosynthese von Pflanzen zu gewinnen, ist nicht neu. Heute werden dafür Pflanzen wie Mais angebaut, geerntet und dann verbrannt oder in Bioreaktoren verarbeitet. Dieser Prozess ist nicht wirklich klimaneutral, denn für den Anbau, die Ernte und die Verarbeitung der Pflanzen ist viel Energie nötig. Zudem stehen die landwirtschaftlichen Flächen für Wald oder Biodiversität nicht mehr zur Verfügung.
Wissenschaftler der kanadischen Concordia University in Montreal haben jetzt einen „direkten“ Weg gefunden, um die Energie der Photosynthese in elektrischen Strom zu verwandeln. [7]
Sie nutzen die Tatsache, dass bei der Photosynthese nicht nur Sauerstoff entsteht, sondern als „Beiprodukt“ auch freie Elektronen erzeugt werden. Genau diese Elektronen ernten die Forscher. Hierfür haben sie Zellen von 2 x 2 cm gebaut, die in zwei Kammern unterteilt sind. Diese sind durch eine Membran getrennt, welche die Protonen aufnimmt, die ebenfalls bei der Photosynthese entstehen. Die eine Kammer ist die Anode und die andere die Kathode. Beide Kammern werden durch Mikroelektroden verbunden, welche die Elektronen aus der Photosynthese aufnehmen.
Damit der Prozess startet, wird eine der Kammern mit einer wässrigen Lösung gefüllt, die andere mit Ferrocyanid, das ebenfalls Protonen aufnimmt. Und natürlich werden lebende Algen in beide Kammern eingesetzt.
Auf diese Weise kann mit einer einzelnen Zelle eine elektrische Spannung von 1 Volt erzeugt werden. Der entstehende elektrische Strom ist gering, was aber angesichts der kleinen Zelle nicht verwunderlich ist. Dafür ist sie nicht auf direktes Sonnenlicht angewiesen. Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, den Prozess skalieren zu können, um mehr Energie zu erzeugen und eine breite Palette von Anwendungen zu entwickeln.
Die Algen nutzen Kohlendioxid aus der Luft, und aus dem Prozess entstehen nur Sauerstoff und Wasser. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Tatsache, dass die verwendeten Materialien biologisch abbaubar sind und ohne Schadstoffe auskommen.
Wir dürfen also gespannt sein, wie es mit diesem interessanten Ansatz weitergeht.
5 Der “Drinking Bird” Generator: Energie aus verdunstendem Wasser
Entwickler: Hong Kong Polytechnic University (Hongkong / China)
Kategorie: Energiegewinnung
Stand: März 2024
Viele von uns kennen noch den als Spielzeug verkauften „Trinkenden Vogel“: Es handelte sich um einen Glaskolben mit einem als „Hals“ in den Kolben eingesteckten Glasrohr. Der Kolben war so hoch gefüllt mit einer ungefähr bei Raumtemperatur siedenden, gefärbten Flüssigkeit (in der Regel Methanol), dass das untere Ende des Halsrohres davon bedeckt war. Um einem Vogel zu ähneln, war der Hals oben mit einem Hut, einem Vogelgesicht und einem mit Filz überzogenen Schnabel ausgestattet. Das Ganze war so in einem Gestell aufgehängt, dass der Vogel an einer Drehachse leicht nach vorn kippen konnte.
Wenn man seinen Schnabel mit Wasser benetzte, entstand dort sofort Verdunstungskälte, die den Hals am oberen Ende leicht abkühlte. Hierdurch sank dort der Dampfdruck, und die Flüssigkeit konnte vom Kolben in den Hals aufsteigen. Dadurch verlagerte sich der Schwerpunkt. Der Vogel kippte nach vorn und tauchte den Schnabel in ein Wasserglas. Gleichzeitig ragte beim Kippen das untere Ende des Halsrohres aus der Flüssigkeit im Kolben, so dass ein Druckausgleich stattfinden konnte. Hierdurch sank Flüssigkeit zurück in den Kolben, und der Vogel kippte wieder in die nahezu senkrechte Ausgangsposition. Durch das verdunstende Wasser startete der Prozess nach kurzer Zeit erneut.
Das Spannende daran ist, dass ein einfaches Spielzeug Unglaubliches leistete: Es erzeugte Bewegungsenergie allein aus verdunstendem Wasser.
Dieses Prinzip wurde von Forschenden der Hong Kong Polytechnic University in Hongkong und Guangzhou neu aufgegriffen [8] - mit dem Ziel, nicht nur Bewegungsenergie zu erzeugen, sondern diese direkt in elektrische Energie umzusetzen. Die Forschenden haben hierzu das Design des Vogels und die verwendeten Materialien so abgewandelt, dass der Prozess effektiver wurde. Gleichzeitig haben sie den Mechanismus mit einem Generator verbunden, der die Bewegungsenergie in elektrische Spannung und Strom konvertiert. Laut den Berichten der Forschenden konnte mit einem einzigen, originalen Vogel eine ausreichende elektrische Energie erzeugt werden, um mehrere kleine LED-Panels zu betreiben. Sie demonstrieren dies in einem Video, das mit dem Forschungsbericht veröffentlicht wurde [9]. Das Prinzip verbraucht zudem sehr wenig Wasser und soll in der Lage sein, mit 100 Millilitern mehrere Tage zu laufen.
Momentan sind die „Generatoren“ noch Prototypen, die in der Laborumgebung eingesetzt werden. Die Forschenden sind aber sicher, das Prinzip der Energieerzeugung aus Wasserverdunstung so weit entwickeln zu können, dass daraus ein marktfähiges System zur Energiegewinnung entstehen kann.
6 Energiegewinnung aus Graphen
Entwickler: University of Arkansas (USA)
Kategorie: Energiegewinnung
Stand: Oktober 2020 (University of Arkansas), April 2024 (Lizenznehmer NTS)
Graphen ist im Grunde genommen nichts weiter als gewöhnlicher Kohlenstoff. Graphen wird daraus, wenn er zu zweidimensionalen Strukturen zusammengesetzt wird - also Schichten aus Kohlenstoffatomen, die nur eine Atomlage dick sind. Diese weisen besondere physikalische Eigenschaften auf.
Deswegen ist das Material seit einigen Jahren populär. Elektronik, Medizin und Energiespeicherung sind dabei nur einige der möglichen Einsatzgebiete. Viele Anwendungen stecken aber noch im Bereich der Grundlagenforschung und müssen erst entwickelt werden.
Auch für die Energiegewinnung ist Graphen ein Kandidat. Dabei geht es um die Nutzung der sogenannten „Brownschen Molekularbewegung“.
Jedes Atom und jedes Molekül, das eine Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunktes hat (ca. minus 273,15 Grad Celsius), bewegt sich permanent hin und her. Ursache hierfür sind die Anziehungskräfte zwischen den einzelnen Teilchen. Je höher die Temperatur, desto stärker sind die Bewegungen.
Wissenschaftlern der University of Arkansas ist es gelungen, mit Graphen aus diesen Bewegungen nutzbare Energie zu erzeugen: Sie stellten fest, dass die Brownsche Molekularbewegung in Graphen einen Wechselstrom in einem elektrischen Schaltkreis induzieren kann. [10] Das funktioniert auch bei Raumtemperatur. Die auf diese Weise erzeugte elektrische Energie fließt permanent, hört also nicht nach einer Weile auf. Um sie aufzufangen, haben die Wissenschaftler einen Schaltkreis mit zwei Dioden gebaut, der den Wechselstrom in Gleichstrom umsetzt.
Die Ausbeute an elektrischem Strom in einem einzigen Schaltkreis ist sehr gering. Um eine wirklich nutzbare Energiemenge zu erhalten, müssten daher Tausende der Einzelelemente auf einem Siliziumchip kombiniert werden. Dies sollte aber kein Problem sein, da die erforderlichen Techniken in der Chipindustrie vorhanden und überall in der Massenfertigung eingesetzt werden. Dann erzeugt der Chip dauerhaft Strom, ohne auf externe Energiequellen angewiesen zu sein.
Das Unternehmen NTS Innovations [11] in Fort Myers, Florida, hält die Lizenz, das an der University of Arkansas entwickelte System zu einem marktfähigen Produkt zu machen. Damit sollte es möglich sein, mindestens Sensoren und andere elektronische Komponenten zu versorgen, die vergleichsweise wenig Strom benötigen und dann ohne Batterien oder einen externen Stromanschluss auskommen. Vielleicht geht ja noch mehr.
7 Aufhebung der Erdanziehung durch Elektrostatik
Entwickler: Exodus Propulsion Technologies, Oak Hill, Florida (USA)
Kategorie: Antriebe
Stand: April 2024
Am 19. April 2024 gab das Unternehmen Exodus Propulsion Technologies des amerikanischen Ingenieurs Dr. Charles Buhler bekannt, erfolgreich einen Antrieb gebaut zu haben, der ohne Treibstoff arbeitet und die Erdanziehungskraft überwinden kann.
Die Erdanziehungskraft beträgt an der Erdoberfläche 9,81 Newton [N] pro Kilogramm. Das bedeutet, dass ein Körper mit einem Gewicht von 1 kg mit einer Kraft von 9,81 N von der Erde angezogen wird.
Das ist insoweit möglicherweise revolutionär, als weitere Entwicklungen wie der Centrifugal Impulse Drive oder der IVO Quantum Drive (siehe unten) nur minimale Kräfte erzeugen und nicht geeignet sind, um auf der Erde eine nennenswerte Bewegung hervorzurufen. Demgegenüber soll das Gerät von Exodus die Erdanziehung komplett aufheben. Das wäre fast das 150-fache der bisher bekannten Geräte.
Ein Objekt, das mit einem solchen Antrieb ausgestattet würde, könnte also entgegen der irdischen Schwerkraft zum Schweben gebracht werden oder sich sogar schwebend fortbewegen.
Buhler beschreibt das dahinterstehende Prinzip im Patent WO2020159603A2 vom 6. August 2020. Die Kraft entsteht durch elektrostatische Ladungen, indem leitfähige Oberflächen mit unterschiedlichen Spannungen „aufgeladen“ werden. Laut Patent entsteht hierdurch eine gerichtete Kraft, die in weiteren Ausbaustufen zur Fortbewegung (zum Beispiel eines Raumfahrzeugs) genutzt werden kann. Das Prinzip benötigt außer elektrischem Strom keinen Treibstoff und erzeugt keinen Rückstoß.
Leider habe ich keine Informationen gefunden, wie viel Strom (also elektrische Energie) nötig ist, um den beschriebenen Schub zu erzeugen. Dies ist wichtig, um die Effizienz eines solchen Antriebs ermitteln zu können und, ob er mit nachhaltig erzeugter Energie (zum Beispiel Solarzellen) betrieben werden könnte.
Dr. Charles Buhler ist laut seinem LinkedIn-Profil neben seiner Tätigkeit bei Exodus Propulsion Technologies auch NASA-Ingenieur. Weitere Quellen sagen, dass er bei der NASA ein Experte für Elektrostatik im Space Shuttle-Programm war sowie an der Internationalen Raumstation, dem Hubble-Teleskop und weiteren Projekten mitgearbeitet hat.
In einem Interview mit dem Magazin „The DeBrief“ im Juli 2024 [12] beantwortete Charles Buhler die Frage, ob tatsächlich genug Antriebsenergie erzeugt wird, um einen Gegenstand entgegen der Schwerkraft anzuheben. In Tests wurde demnach eine Masse von deutlich weniger als einem Gramm erfolgreich angehoben, wobei eine maximale Antriebskraft von nur 10 mN (Milli-Newton) zur Verfügung stand. Dies relativiert die bisher getroffenen Aussagen zur Erzeugung einer neuartigen Antriebskraft ganz erheblich. Trotzdem ist die Erkenntnis, dass Antrieb ohne das Entstehen eines Rückstoßes realisiert werden kann, enorm wichtig. Die Forscher stehen auch erst am Anfang, und vielleicht ergeben sich ja Möglichkeiten für Verbesserungen. Immerhin soll der aktuell entwickelte Antrieb im erdnahen Weltraum getestet werden und dort zur Lageänderung einer Raumsonde beitragen. Ein Erfolg wäre eine wichtige Bestätigung für das neue Antriebsprinzip.
8 Der Centrifugal Impulse Drive (CID)
Entwickler: Quantum Dynamics Enterprises, Florida (USA)
Kategorie: Antriebe
Stand: 2024
Das Unternehmen „Quantum Dynamics Enterprises“ aus Key West, Florida, nimmt für sich in Anspruch, die ersten mit einem bereits einsatzbereiten Antrieb zu sein, der außer elektrischem Strom keinen Treibstoff benötigt [13]. Er wäre damit der allererste „Treibstofflose Antrieb“ (im englischen „Propellantless Drive“). Der neue „Motor“ soll 2024 im erdnahen Weltraum getestet werden, um seine Funktionsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Physikalisch setzt der Antrieb auf rotierende Magnete, durch die Quanteneffekte nutzbar werden und eine Schubkraft erzeugen. Die Arbeitsweise hat Quantum Dynamics im Jahr 2024 auf der Messe „Space.com“ vorgestellt [14] und mit einem Modell vor Ort demonstriert.
Die auf diese Weise erzeugte Schubkraft ist gering (im Bereich einiger Dutzend Millinewton [mN]), reicht aber aus, um ein Raumfahrzeug in der Schwerelosigkeit zu positionieren. Unter dem Einfluss der irdischen Schwerkraft würde sie keine nennenswerte Bewegung hervorrufen.
Leider ist über den aktuellen Stand der Arbeiten nur wenig in Erfahrung zu bringen. Es scheint, dass manche erfolgversprechende Entwicklungen, die durch Finanzmittel des amerikanischen Militärs unterstützt werden, schnell hinter dem Vorhang der Geheimhaltung verschwinden.
Hoffen wir, dass sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, wenn sie sich als erfolgreich erweisen.
9 Ein Motor mit quantenmechanischem Antrieb
Entwickler: Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (Deutschland)
Kategorie: Antriebe
Stand: März 2024
Benzin- oder Dieselmotoren gibt es seit vielen Jahrzehnten. Ihr Arbeitsprinzip ist simpel: Der Treibstoff wird in einer Brennkammer gezündet, und die Ausdehnung der Verbrennungsgase treibt einen Kolben. Dieser überträgt die Energie auf eine Achse, die das Fahrzeug bewegt.
Ein Team der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau hat herausgefunden, dass das nicht nur in der leicht beobachtbaren Welt funktioniert, sondern auch auf der Quantenebene. Herausgekommen ist ein quantenmechanischer Antrieb, der nicht auf die Zündung eines Brennstoffs angewiesen ist. Er benötigt also keinen Treibstoff im herkömmlichen Sinne und erzeugt keine Abgase. Das Team beschreibt seine Arbeit in einem Artikel im Magazin „Nature" [15].
Die Gewinnung von Energie stützt sich dabei auf die Eigenschaften von Elementarteilchen und nutzt geschickt einen Unterschied zwischen zwei Teilchengruppen: Alle heute bekannten Elementarteilchen lassen sich zwei Klassen zuordnen. Sie sind entweder „Fermionen“ (aus diesen Teilchen setzt sich die Materie zusammen) oder „Bosonen“ (diese vermitteln Kräfte wie zum Beispiel die Elektromagnetische Kraft oder die Starke Kernkraft). Beide Teilchenklassen sind sehr unterschiedlich: Zwei identische, benachbarte Fermionen können zum Beispiel nicht den gleichen Quantenzustand annehmen (das sogenannte „Pauli-Prinzip“). Bosonen hingegen häufen sich gern an und versuchen dabei, gemeinsam den niedrigsten Energiezustand zu erreichen.
Wenn man nun versucht, auch bei Fermionen einen Quantenzustand möglichst niedriger Energie herzustellen - zum Beispiel durch starkes Abkühlen -, gelingt dies wegen des Pauli-Prinzips nur zum Teil: Während ein Teilchen den niedrigst möglichen Energiezustand einnehmen kann, darf das benachbarte, nächste Teilchen diesen nicht ebenfalls annehmen und „wählt“ daher den nächsthöheren. Alle weiteren Fermionen machen das genauso und bilden auf diese Weise eine Art „Turm“ mit Fermionen verschiedener Energieniveaus. Der Kniff der Forschenden besteht nun darin, die Fermionen anschließend paarweise miteinander zu koppeln. Hierdurch wandeln sich die Fermionen um in Bosonen, und das Pauli-Prinzip gilt für sie nicht mehr. Dadurch können sie alle denselben, niedrigst möglichen Energiezustand einnehmen. Die Energie aus den unterschiedlichen Energieniveaus des „Turms“ wird frei und kann als Antrieb für den Quantenmotor genutzt werden.
Das funktioniert tatsächlich und wurde von den Forschenden erfolgreich im Experiment umgesetzt. Dabei erzielten sie eine Energieeffizienz von 25 %.
Es gibt zurzeit nur eine Einschränkung: Das Ganze funktioniert nur unter Laborbedingungen bei extrem niedrigen Temperaturen nahe des absoluten Nullpunktes und nur mit wenigen Teilchen. Entsprechend gering ist die Energieausbeute.
Die Forschenden sind aber sicher, dass sich das Prinzip durch weitere Forschungen verbessern lässt. Vielleicht haben wir also irgendwann tatsächlich einen „Quantenmotor“, der ohne Treibstoff funktioniert.
10 Der IVO Quantum Drive
Entwickler: IVO Limited, North Dakota (USA)
Kategorie: Antriebe
Stand: 2024
Auch das Unternehmen IVO Limited [16] in Bismarck, North Dakota, hat nach eigenen Angaben einen Antrieb zur Einsatzreife entwickelt, der außer elektrischem Strom keinen weiteren Treibstoff benötigt, um Schub zu erzeugen.
Ich habe diesen Antrieb ganz ans Ende des Strategie-Impulses gestellt, weil das dahinterstehende Funktionsprinzip besonders „abgefahren“ zu sein scheint und Erkenntnisse der Relativitätstheorie und zum Raum-Zeit-Gefüge verwendet.
Bis jetzt gehen wir davon aus, dass die Newtonschen Bewegungsgesetze universell für jede Art von Bewegung gelten: Eine Kraft „nach hinten“ wird ausgeübt und treibt das jeweilige Objekt voran: Wenn wir gehen, drücken wir uns mit entsprechender Kraft am Boden ab und gelangen so vorwärts. Flugzeuge stoßen heiße Gase nach hinten aus und werden so vorwärtsgetrieben. Genauso gilt das auch für jede weitere Bewegung.
Beim „Quantum Drive“ soll das anders sein.
Die Entwicklung stützt sich auf Arbeiten des Physikers Mike McCulloch unter der Überschrift „Quantized Inertia" [17], nach denen Schub aus Quanteneffekten generiert werden kann. Hierfür ist lediglich elektrischer Strom nötig. In (Raum-)Fahrzeugen könnte so auf Treibstofftanks verzichtet werden, und es werden keine Verbrennungsgase ausgestoßen. Der Antrieb könnte daher im Inneren und ohne „Auspuff“ verbaut werden.
IVO Limited hat einen solchen Antrieb gebaut und erläutert in einer Presseerklärung vom 15.03.2023 [18], dass pro Watt eingesetzter elektrischer Energie eine Kraft von bis zu 52 Millinewton erzeugt wird. Das ist natürlich winzig und überhaupt nicht geeignet, um Fahrzeuge auf der Erde anzutreiben. Satelliten und Raumsonden könnten aber auch von so wenig Schub profitieren, da sie sich in der Schwerelosigkeit bewegen und nur eine geringe Kraft erforderlich ist, um Geschwindigkeit oder Position zu verändern.
Eigentlich sollte der finale Test der Funktionsfähigkeit des „Quantum Drive“ bereits Ende des Jahres 2023 in der Erdumlaufbahn durchgeführt werden. Leider scheiterte das daran, dass der Satellit mit den beiden eingebauten Quantum Drives bereits kurze Zeit nach dem Start gravierende technische Probleme hatte und dann aufgegeben werden musste.
IVO Limited arbeitet aber weiter daran, einen Test im erdnahen Weltraum durchzuführen und so die Funktionsfähigkeit dieses revolutionären Antriebs unter Beweis zu stellen.
Fazit
Neben den klassischen Alternativen zur Energiegewinnung aus Solar-, Wind- und Wasserkraft gibt es also einige weitere, vielsprechende Ansätze. Einer (horizontale Windräder) ist eine Weiterentwicklung bestehender Technologie, einige der anderen in Teilen Neuland, das erst durch Impulse aus der Physik von Elementarteilchen und Naturkräften betreten wurde.
Bisher ist Deutschland bei diesen Entwicklungen wenig vertreten. Vielleicht lässt sich das ja ändern, und die Wissenschaft in Deutschland und Europa kann etwas zum Fortschritt auf diesen Gebieten beitragen und profitieren.
Aus meiner Sicht lohnt es sich auf jeden Fall, die einzelnen Projekte intensiv weiter zu verfolgen. Spätestens, wenn sich abzeichnet, dass das jeweilige Prinzip tatsächlich funktioniert und skaliert werden kann, sollte es durch (weitere) Förderungen unterstützt werden. Immerhin haben einige der Forschungen das Potenzial, Energie bzw. Antrieb ohne den Einsatz von Treibstoffen zu erzeugen und damit wirklich nachhaltig zu arbeiten. Preiswerte, universell verfügbare und nachhaltige Energie würde unser Leben und die Nutzung von Rohstoffen grundlegend verändern und helfen, weitere Schäden an der Umwelt nicht nur zu vermeiden, sondern auch zu beheben. Und das ist doch ein Ziel, dass sich wirklich zu verfolgen lohnt.
Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass Entwicklungen, die dem Wohle der gesamten Menschheit dienen können, nicht hinter dem Vorhang militärischer Interessen verborgen werden - oft endet die Veröffentlichung technologischer Fortschritte mit dem Beginn einer finanziellen Förderung durch das Militär.
[1] Vgl. https://airloomenergy.com/.
[2] Vgl. Maio, Pat (2024): Wyoming Company’s Innovative Design Could Make Wind Turbines Obsolete, unter https://cowboystatedaily.com/2024/02/06/wyoming-companys-revolutionary-design-could-make-wind-turbines-obsolete/
[3] Vgl. McMillan, Tim (25.04.2024): “China claims new Breakthrough in Laser Propulsion could lead to Ultrafast, Stealth Submarines, in: The DeBrief, unter https://thedebrief.org/china-claims-new-breakthrough-in-laser-propulsion-could-lead-to-ultrafast-stealth-submarines/. Alternative Quelle: Chen, Stephen: „Chinese scientists close in on laser propulsion for superfast, silent submarines“, in: South China Morning Post, 22.04.2024, unter https://www.scmp.com/news/china/science/article/3259875/chinese-scientists-close-laser-propulsion-superfast-silent-submarines.
[4] Vgl. Xiaomeng Liu, et al (2020): Power generation from ambient humidity using protein nanowires, unter https://www.nature.com/articles/s41586-020-2010-9.
[5] Vgl. Xiaomeng Liu, et al (2024): „Power generation from ambient humidity using protein nanowires”, in: Advanced Materials, Vol. 36, Issue 12, unter
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/adma.202300748?af=R.
[6] Siehe https://cascatachuva.eu/.
[8] Vgl. Presseerklärung: „An electricity generator inspired by the drinking bird toy powers electronics with evaporated water”, in: Cell Press, erschienen in EurekAlert! unter
https://www.eurekalert.org/news-releases/1036858.
[9] Vgl. Hao Wu, et. Al, (2024): “Drinking-bird-enabled triboelectric hydrovoltaic generator“, erschienen in Cell Press unter https://www.cell.com/device/fulltext/S2666-9986(24)00108-X.
[10] Vgl. Whitby, Bob (University of Arkansas, 2020): “Physicists build circuit that generates clean, limitless power from graphene”, unter https://arkansasresearch.uark.edu/physicists-build-circuit-that-generates-clean-limitless-power-from-graphene/.
[11] Vgl. https://www.ntsinnovations.com/graphene-energy-harvesting.
[13] Vgl. https://qde-inc.com/.
[14] Vgl. https://qde-inc.com/spacecom-2024.
[15] Vgl. Koch, Jennifer, et al. (2023): „A quantum engine in the BEC–BCS crossover“, in: nature, Heft 621, unter https://www.nature.com/articles/s41586-023-06469-8.
[16] Vgl. https://ivolimited.us/.
[17] Vgl. McCulloch, M.E. (2008): „Modelling the Pioneer anomaly as modified inertia“, in: erschienen in: ArXiv, unter https://arxiv.org/pdf/astro-ph/0612599.pdf.
Redaktionelle Hinweise
Über den Autor
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